RAF-Flugbetrieb 1954 - 1999
5. Berechnung der Flugbewegungen auf Laarbruch -Fortsetzung-

Vorausgesetzt, dass auf Besucher etwa die gleiche Zahl entfällt wie in Laarbruch (1000), ergibt sich daraus rechnerisch eine Gesamtzahl von 43.000 Flugbewegungen für RAF Gütersloh im Zeitraum bis 1992. Diese Zahlen hat die RAF für die 80er Jahre exakt bestätigt (vgl. dazu: "Flugplatz Gütersloh, A short History, by Gerry Lewis. Published by the Royal Air Force Gütersloh, 1987").

Die Fachhochschule Lippe gibt die Durchschnittszahl der Flugbewegungen aber mit 48.000 (4000 pro Monat) an; identische Angaben finden sich auch in der Fachliteratur (vgl. dazu: Royal Air Force Gütersloh, Jets & Airliner auf dem Flughafen Gütersloh, hrsg. von Marc Tecklenborg und Werner Rydzynski, Gütersloh, Flöttman-Verlag, 1995, Seite 57). Die Diskrepanz (5000/Jahr) lässt sich durch Überflüge erklären, die von der RAF nicht offiziell registriert wurden, wohl aber von den Messgeräten der Fluglärmgegner (s. Video 1, 2, 5).


Ein Teil der "inoffiziellen" Überflüge konnte mit den wenigen vorhandenen Messgeräten allerdings gar nicht erfasst werden; ihre Gesamtzahl lag daher mit Sicherheit noch höher. Ferner dürften die Warteschleifen, die immer wieder um den Flughafen geflogen werden mussten, nur zum Teil gemessen worden sein (s. u.).


Die statistisch ermittelten Werte für RAF Laarbruch stimmen mit den rechnerisch über- prüften und den gemessenen Werten der Fachhochschule Lippe für RAF Gütersloh im Grundsatz überein und können daher für die darauf aufbauende Berechnung der Gesamt- belastung durch Lärmereignisse herangezogen werden.

Die von den Briten vorgelegten Zahlen für Laarbruch, 22.000 offizielle Flugbewegungen, sind daher realistisch, allerdings nur für die Phase II.

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ach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums (BMV) werden jedoch nur die bisher aufgeführten Flugereignisse von den NATO-Verbündeten gezählt; anders als bei der Bundes- wehr fließen "Low-Approch"-Tiefflüge (Überflüge) nicht in die Zählung ein.

S
olche Überflüge bzw. simulierte Tieffliegerangriffe ("Base Attack") erfolgten zusätzlich zu den eigenen Maschinen in erheblicher Zahl durch Flugzeuge fremder RAF-Standorte (s. Video 5: hier Canberra aus England) oder Maschinen der NATO-Verbündeten (s. Video 2: Phantom-Jets der Bundesluftwaffe). Derartige Überflüge durch eigene oder standortfremde Flugzeuge wurden von der RAF nicht gezählt, obwohl sie zum Standard-Flugprogramm aller NATO-Streitkräfte gehören. Dies hängt auch damit zusammen, dass viele Tiefstflüge von den Piloten an das zu absolvierende Tagesprogramm einfach "inoffiziell" angehängt wurden, wenn noch genügend Treibstoff übrig war; simulierte "Angriffe" dieser Art gehören für die enthu- siastischen, jungen Piloten zu den beliebtesten Flugmanövern. Diese ungeplanten "Zugaben" wurden meist stillschweigend geduldet (s. Video 5).

D
ies alles erklärt auch, warum die Fluglärmgegner in Gütersloh mehr Flugbewegungen registriert haben (nämlich 48.000, s. o.) als es auf Basis der RAF-Zählweise (43.000) sein dürften (Quelle: http://www.bmfd.de/INFO/historien/1989/wib1989.htm, weitere Details unter: http://www.raf.mod.uk/).

Wegen der nicht gezählten bzw. nicht registrierten Überflüge darf es daher als gesichert gelten, dass die realen Zahlen für Phase II auch auf Laarbruch deutlich höher lagen als offiziell angegeben, selbst wenn der Harrier kein so umfangreiches Tiefflugtraining absolviert hat wie die Jagdbomber in der Phase I.

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ine real noch höhere Zahl von "Lärmereignissen" darf aber auch für RAF Gütersloh angenommen werden. Die dort in Reihe aufgestellten Messgeräte waren so positioniert, dass nur in der Einflugschneise an- und abfliegende Maschinen gezählt werden konnten, also Starts, Landungen und "Touch-and-Go"-Manöver; wegen ihrer Entfernung zum Flugplatz (2 bzw. 4,3 km) können die Geräte allerdings nur diesen Teil der Platz-Überflüge registriert haben, denn quer zur Einflugschneise in mehreren Kilometern Entfernung zur Messstation überfliegende Jets ("Low-Approaches" und "Circuits") sind damit nicht zu erfassen, da nur drei Geräte zum Einsatz kamen. Für eine lückenlose Dokumentation aller Lärmereignisse um RAF Gütersloh wären mindestens 12 Messstationen notwendig gewesen, die im Umkreis des Flugplatzes gleichmäßig hätten verteilt sein müssen. Da dies nicht der Fall war, ist die Zahl der tatsächlichen Überflüge für Gütersloh mit Sicherheit deutlich höher als die gemessene Anzahl.

Hinzu kommt, dass die bis 1993 um Gütersloh eingesetzten Messgeräte sehr kurz hinter- einander überfliegende Jets nicht getrennt wahrnehmen konnten. Eine überfliegende For- mation von Flugzeugen wurde immer als Einzelereignis registriert, da die Instrumente der Fluglärmgegner auf den Messbereich von Wochen und Monaten justiert waren, um den Pa- pierverbrauch der Datenschreiber zu begrenzen; andernfalls hätte man die Stationen täglich kontrollieren und die damals eingesetzten Messblätter in kürzesten Abständen wechseln müssen.

Es gehörte aber zum regulären Trainingsprogramm, insbesondere simulierte Tieffliegerangriffe auf die Heimatbasis auch in Formationen von 2, 4 oder sogar mehr Jets zu fliegen. For- mationsflüge dieser Art gehörten zum Standard-Ausbildungsprogramm aller NATO-Piloten. Bei Tiefflugangriffen konnte in solchen Formationen geflogen werden, um die Waffenwirkung zu bündeln. Entsprechend wurde dieses Flugmanöver regelmäßig bei Scheinangriffen auf die Heimatbasis trainiert. Die Jets einer solchen Formation überflogen die Messstation zeitlich und räumlich nur derart geringfügig versetzt, dass sie von den Geräten als Einzelereignis registriert wurden, obwohl sie für die Anwohner unzweifelhaft als Mehrfachereignisse wahr- nehmbar waren, zumal die geschlossene Formation häufig erst kurz vor dem "Angriffsziel" gebildet wurde.

Hinzu kommen die sogenannten Formationsstarts und -landungen; dabei starten bzw. landen zwei Jets nebeneinander. Die Maschinen fliegen dabei auch etwas versetzt. Derartige Über- flüge werden von Beobachtern zwar als überdurchschnittlich laute "Doppelschläge" wahrge- nommen, aber die eingesetzten Messgeräte registrieren nur ein einziges Lärmereignis, dies allerdings als besonders laut (weitere Details dazu s. Kap. 6). Da derartige Formationsstarts und -landungen zum Standard-Ausbildungsprogramm für NATO-Flieger gehören, darf eine er- hebliche "Dunkelziffer" nicht (bzw. nur einfach) registrierter Lärmereignisse postuliert werden.

Aus den genannten Gründen darf daher geschlossen werden, dass die Zahl der tatsächlichen Überflüge in Gütersloh erheblich größer war als die Zahl der gemessenen Lärmereignisse.


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VIDEO 1
Überflug Buccaneer/Start Tornado

VIDEO 2
Überflug Phantom

VIDEO 5 erneuert
"Overshoot" Harrier (1994) mit anschließender Platzrunde (Nordschleife)


Ein gemischter Verband Tornados kehrt von einem Einsatz zurück und passiert den Heimatstützpunkt Laarbruch in einem "Low Approach" über dem Stationierungsbereich der 20. Sqn. Im Vordergrund Munitionsbunker. Die Flughöhe beträgt keine 100 Meter. Derartige Tiefstflüge im Umfeld der Heimatbasis waren an der Tagesordnung und verursachten eine enorme Belastung der Anwohner. Überflüge dieser Art wurden von der RAF allerdings nicht als Flugbewegung gezählt. Foto: Hal Palmer,1991.


Senkrechtstarter in Aktion. Der Harrier steht in der Luft, bevor er mit dem Landevorgang be- ginnt. Der Abgasstrahl zeigt, dass die Trieb- werke höchste Leistung liefern; der Lärm bei solch einer Landung ist infernalisch. Da der Harrier aus allen Richtungen einfliegen bzw.
in alle Richtungen abfliegen kann, ist eine Erfassung sämtlicher Flugbewegungen dieses Flugzeugtyps durch Messgeräte in der Einflugschneise nicht möglich.
Foto: RAF, ohne Jahr


Formation von vier Jets der 2. Sqn. aus Laarbruch. Vorne zwei neue "Jaguar"-Jets, dahinter zwei "Phantom", die kurz danach ausgemustert wurden.
Die zeitlichen und räumlichen Abstände bei Überflügen derartiger Formationen waren so gering, dass die für Langzeitstudien justierten Messgeräte nur einen Überflug und damit nur ein "Lärmereignis" registrieren konnten.
Foto: RAF Laarbruch, 1976


Neben Formationsstarts gab es auch Formationslandungen. Diese erforderten besondere Präzision, um Kollisionen zu vermeiden. Bei der kleinsten Abweichung erfolgte Abbruch und Durchstart. Dies konnte sich mehrfach wieder- holen, bis das Manöver gelang. Abgebrochene Landungen wurden von der RAF nicht offiziell gezählt. Im Bild zwei Tornados (16. und 2. Sqn.) bei der Landung. Laarbruch 1991. Foto: Jürgen Knizia.


Im Bild zwei Harrier der 3. Sqn. bei der Landung auf Laarbruch. Das gleiche Manöver wurde von denselben Maschinen bis 1992 regelmäßig in Gütersloh trainiert.
Foto: Ron Kellenaers, 1995.