AKTIONSGEMEINSCHAFT. Eine denkwürdige Informationsveranstaltung, bei der ein Amateurboxer viele Tiefschläge verteilte und viele einstecken musste.

KEVELAER/WEEZE. Die Gaststätte "Zur Brücke" ist eine dieser typischen niederrheinischen Dorfkneipen. Vorne die Gaststube mit dunkelbrauner Theke, hinten der große Saal, in dem Gesellschaften feiern können. Die "Aktionsgemeinschaft gegen Fluglärm und Luftverschmutzung" hat hier am Donnerstag Polterabend gefeiert. Im Zentrum des turbulenten Geschehens: Ahmet Siegel. Der baumlange Amateurboxer, der seit Oktober 2004 Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft ist, wurde von den restlichen Vorstandsmitgliedern und vielen der Mitglieder klein gemacht und musste verbale Prügel einstecken.

"Du hast die Solidarität kaputt gemacht"

Siegel war offenbar davon ausgegangen, bei den Mitgliedern der Aktionsgemeinschaft auf Beifall zu stoßen: Dafür, dass er sie über den Streit zwischen ihm und dem Rest des fünfköpfigen Vorstands und das "Dialogangebot" des Flughafens informiert. Aber das Misstrauen sitzt wohl in den Reihen der Aktionsgemeinschaft zu tief - zu viele sind offenbar davon überzeugt, dass sich Siegel, dessen Frau Klägerin ist, mit den anderen verhandlungswilligen Klägern eine Niederlegung der Klage vergolden lassen will. "Du hast die Solidarität kaputt gemacht", musste er sich anhören. Beifall bekam zu Siegels sichtbarem Entsetzen dagegen Rüdiger van Straelen, der Kevelaerer Anwalt, der für die Mandatsniederlegung des Kläger-Anwalts Johannes Bohl verantwortlich ist: "Verhandlungen sind Verrat an den Mitgliedern, die die Prozesse finanziert haben und Verrat an der Sache."

Wohl fühlten sich viele der Bürgerbewegten in der Brücke sichtlich nicht bei der Demonatage des Ersten Vorsitzenden und der öffentlichen Selbstzerfleischung des Vereins. Wie auch, wenn sich die führenden Köpfe gegenseitig bedrohen und beschimpfen: "Ich habe keine Angst vor Rüdiger van Straelen. Wenn der wüsste, was ich über ihn weiß" - Sätze wie dieser von Ahmet Siegel, zeigten, dass Arnold Angenendt, einer der Kläger, mit seiner Einschätzung wohl nicht unrecht hat: "Es geht rein um eine persönliche Fehde, die auf Kosten des Vereins ausgetragen wird. Das macht den Verein kaputt."

Aber Mäßigung? Keineswegs: "Sie haben unseren Anwalt verbrannt", giftete Siegel in Richtung Rest-Vorstand. "Deine Eigenmächtigkeiten haben die Vereinskasse um 12 000 Euro geschädigt", hielt ihm van Straelen vor und meinte damit eine Pressemitteilung Siegels, die dem Verein eine Unterlassungsklage des Flughafens eingebracht hat.

Entsetzt wie wohl die meisten der einst in Solidarität und Siegestaumel vereinten Mitglieder zeigte sich auch die langjährige Vorsitzende der Aktionsgemeinschaft Kornelia Laqueur: "Warum diese Situation entstanden ist, will ich ums Verrecken nicht begreifen. Wir haben das nicht nötig", appellierte sie vergeblich an die Streithähne. Immerhin: Dank ihr erhielt Siegel den einzigen Beifall an diesem Abend. Weil sie daran erinnert hatte, dass die Aktionsgemeinschaft den Sieg vor dem Oberverwaltungsgericht vor allem dem Vorsitzenden und dem Klägeranwalt Bohl zu verdanken hat.

Der Spaltpilz hat sich tief eingegraben

Tja, und Bohl? Auch er musste sich heftige Vorwürfe anhören: Van Straelen hielt ihm erneut vor, 21 000 Euro Prozesskostenerstattung zurückzuhalten, obwohl er sein Mandat niedergelegt hat. Das wird Bohl auch sicherlich nicht mehr aufnehmen: "Was ich hier in den vergangenen zwei Monaten erlebt habe, ist einmalig." Man habe sogar versucht, ihm zu verbieten, die Veranstaltung zu besuchen.

Der Spaltpilz hat sich sichtlich tief in die Gemeinschaft eingegraben. "Es ist ganz, ganz schlimm, dass wir so zerstritten sind", seufzte eine Besucherin und sprach damit den Anwesenden aus der Seele. Die Erkenntnis aus der Veranstaltung: "Dieser Verein ist nicht handlungsfähig", fasste Siegel in Worte, was unübersehbar ist.

Einen Gewinner gab´s immerhin: Den Wirt der Gaststätte. Es dürfte wenige Abende gegeben haben, an denen er soviel Gäste hatte und soviel Umsatz gemacht hat.



08.09.2006 JAN JESSEN